Ein Rahmen aus hohen Häusern umschließt die gräulich-gelbe Weite über unseren Köpfen. Hellrosa Fetzen beflecken den Himmel. Es ist einer der ersten Abende, an dem uns klar wird, dass der Sommer im Sterben liegt. Pulli-Mitnehm-Wetter. Wir sind umgeben von einer schwarzen Masse aus Menschen, gesprenkelt mit rosa und grün, weiß und beige. In unserer Einzigartigkeit bilden wir fast eine homogene Masse - alle wollen sich abheben und trotzdem dazugehören. Als würden unser Drang nach Individualität und unser Urbedürfnis nach Zugehörigkeit miteinander rangeln.
Viele Menschen, eine Stimme.
So wirkt es auf mich, so sauge ich es auf. Eine Stimme, die die Faust in den Himmel reckt und einsteht. Einsteht für Menschlichkeit und Toleranz – für Progression und Freiheit. Heute sind sie hier, um Unterhaltung zu genießen, um Fortschritt und Mut zu zelebrieren, um zusammen individuell zu sein. Um einen guten Abend zu haben.
Neben mir zwei liebe Menschen, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, der Blick suchend in die Masse gerichtet. Wir haben uns lang nicht gesehen, doch außer einer neuen Hose, absichtlich verlorenen Haaren und einem dazugewonnenen Tattoo fühlt sich alles ganz genau gleich an.
Ich erzähle viel. Im Nachhinein bin ich unschlüssig, ob die Mate schuld ist, die mir über mein Feierabendtief hinweggeholfen hat, oder ob die leere Wohnung, aus der ich komme, einen Anteil daran trägt. Sicher weiß ich, dass ich beflügelt bin von der Gesellschaft und der Stimmung, von diesem Alles-ist-möglich-wir-sind-jung-und-frei-Gefühl, das mir Berliner Sommerabende mit Sonnenuntergangswolken und Menschen mit Glasflaschen in den Händen oft geben. Ich sitze ruhig und breit auf dieser Steintreppe, ich lausche den Stimmen und der Musik, ich betrachte den fast ausgewaschenen Fleck scharfer Soße in meiner neuen Leinenhose, den ich eben auf der Toilette größtenteils rausgerieben habe. „Du musst tupfen, nicht reiben.“, sagte eine junge Frau zu mir, sie lächelte. Der Falafel-Dürüm war lecker. Zusammen individuell, so fühle ich mich hier.
Auf dem Heimweg merke ich, wie unrecht diese Stimme in mir hat. Eine Stimme, die gut Geschichten erzählen kann. Lügenmärchen sind ihre Spezialität, sie ist so geschickt, dass ich immer noch auf sie hereinfalle und den Geschichten Glauben schenke, weil sie sich so vertraut anfühlen und weil es wirklich einfach ist. Einfacher, als rauszugehen und auf das zuzugehen, von dem die Stimme mir erzählt, ich wäre kein Teil davon.
Geschichten erzählen wir uns viele. Nicht die guten, nicht jene, denen wir in Büchern oder Filmen folgen, auch nicht solche, die wir auf Insta oder TikTok vermarktet bekommen. Sondern Geschichten über uns selbst. Über Bilder von uns, die wir stets erfüllen werden, wenn wir nicht lernen, dieser Stimme zuzuhören und ihre Geschichten als die Lügen zu enttarnen, die sie sind.
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